Jeder Mensch versteht unter Design etwas anderes. Lassen Sie sich von vier unglaublich talentierten Architekten inspirieren und erfahren Sie, wie diese ihren individuellen Stil in ihre Entwürfe und ihr eigenes Zuhause eingebracht haben.
Marc Koehler, Architekt in Amsterdam.
Laut Marc Koehler liegt die Zukunft des Wohnens dort, wo Flexibilität, Gemeinschaftssinn und Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen. Seine sogenannten Superlofts sind Gebäude, in deren ringförmiger Struktur die effiziente Raumausnutzung eines Mehrfamilienhauses mit der kreativen Freiheit eines Eigenheims kombiniert ist. Jedes einzelne Superloft ist hochgradig modular und kann nahezu jeden Wunsch erfüllen – sei es ein weiss gelassener offener Raum, ein behagliches Nest mit Ecken und Winkeln oder eine zweite Etage im Stil eines Zwischengeschosses. Das Konzept stärkt zudem das Verhältnis zwischen den einzelnen Nachbarn durch gemeinschaftlich genutzte Bereiche, die von den Bewohnern gemeinsam gestaltet werden. Seit Koehler und sein Team 2016 mit der Superloft Houthaven den ersten Komplex fertiggestellt haben, sorgt die Vision des Amsterdamer Architekten, ein Netzwerk aus „urbanen Dörfern“ zu schaffen, für Aufsehen. Das mittlerweile international anerkannte Wohnkonzept gilt weithin als kreative Antwort auf Zersiedelung und immer enger werdende Stadträume (Superlofts Blok Y im niederländischen Utrecht wurde kürzlich mit dem renommierten 2018 BNA Building of the Year Award ausgezeichnet). Es demonstriert eine neue Art des Wohnens in der Stadt, von der Koehler – selbst Bewohner von Superlofts Houthaven – glaubt, dass sie den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist.
Marc, wie kam Ihnen die Idee mit den Superlofts?
Die Idee für Superlofts entstand vor ein paar Jahren, als die entsprechenden Baugrundstücke in Houthaven zum Verkauf standen. Die Wirtschaft hing in den Seilen, die Banken zögerten bei der Vergabe von Krediten an Projektentwickler und es wurden kaum Neubauten in Angriff genommen – ausgenommen Einzelhäuser und die für die Niederlande typischen Mini-Baugemeinschaften, wo man selbst Hand anlegt. Das brachte uns auf die Idee, die Grundstücke solcher Mini-Baugemeinschaften in einem Gebäude übereinander zu stapeln. Man kann sich das vorstellen wie ein riesiges Buchregal des IKEA-Modells Billy. Das eigene Zuhause lässt sich individuell planen. Dank diesem Konzept konnten wir auch inmitten einer Wirtschaftskrise einen Neubau errichten. Mit diesem Gebäude entstanden die ersten Superlofts.
Wie funktioniert das Konzept?
Jeder einzelne Beteiligte wirkt an der Entwicklung mit. Beteiligt sind der Immobilienentwickler, der Architekt und der Hauseigentümer und gemeinsam entwickeln sie ein neues Gebäude. Jeder einzelne Hauseigentümer kann sein Zuhause nach seinen eigenen Vorstellungen entwerfen, während die gemeinschaftlich genutzten Räume zusammen entworfen werden. Die Leute können zwischen Lofts verschiedener Form und Grösse wählen, mit einem im Rohbau befindlichen Raum selbst weiterarbeiten, einen der vorhandenen Grundrisse an ihre Vorstellungen anpassen oder ein fertiges Loft-Design auswählen. Die Superlofts sind flexible, modulare Gebäude mit einer Vielzahl an möglichen Wohnräumen, die sich für jeden Bedarf eignen – für den von Berufseinsteigern genauso wie für den von Familien. Der gemeinsame Planungsprozess und die gemeinschaftlich genutzten Räume ermöglichen eine neue Form des Wohnens in der Stadt – mit mehr Zusammenhalt und engeren Beziehungen zwischen den Bewohnern, die von Fahrrädern bis hin zu Arbeitsräumen vieles abwechselnd nutzen können. Und da die Gebäude so flexibel sind, sind sie schon jetzt bereit für die Umsetzung zukünftiger Technologien und für weitere Veränderungen im Stadtraum, welche die Zukunft bringt. Derzeit gibt es in den Niederlanden fünf Superlofts-Projekte, die bereits fertig sind oder sich gerade im Bau befinden, und 16 weitere sind u. a. in Johannesburg, Berlin und Melbourne geplant.
Sie sprechen von einer „neuen Form des Wohnens in der Stadt“. Fühlen Sie als Architekt sich verantwortlich dafür, Veränderungen in der Gesellschaft anzustossen?
Ich bin hauptsächlich deshalb Architekt geworden, weil ich einen sichtbaren Beitrag zur Gestaltung dieser Welt leisten wollte. Ich bin davon überzeugt, dass ich einzelne Städte und die Gesellschaft insgesamt mit den von uns entworfenen Gebäuden positiv beeinflussen kann und dass Architektur die Welt zum Besseren verändern kann und auch soll. Derzeit zählt Nachhaltigkeit zu den grössten Herausforderungen, denen wir Architekten uns zu stellen haben. Die Superlofts sollen Innovationen befördern und eine Art Labor sein, in dem wir diese nachhaltigen Gebäudelösungen allesamt testen und andere Menschen inspirieren können. Mit jedem einzelnen Neubau versuchen wir, die Grenzen zu erweitern. Das Wissen, das wir beim Bau dieser Superlofts sammeln, ist unser grösstes Kapital. Mit dieser gebündelten Erfahrung hoffen wir, Architektur so modernisieren zu können, dass sie für ganze Stadtviertel hinsichtlich Nachhaltigkeit und Kreislaufkonzepten zum Vorbild wird.
Wo finden Sie die Inspiration dafür, solche Gebäude zu entwerfen?
Die Metapher eines Gebäudes als lebendiges Wesen finde ich sehr interessant und sie trifft den Kern der Sache. In meinem Alltag spielt meine körperliche und psychische Gesundheit eine wichtige Rolle. Ich möchte mich als Architekt weiterentwickeln, aber auch als Mensch. Jeden Morgen gehe ich mit meinem Trainer in den Park und wir machen Sport. Dann unterhalten wir uns ungefähr eine halbe Stunde darüber, was an diesem Tag zu einer Belastung werden könnte. Ein Gleichgewicht zwischen Körper und Seele zu finden ist eine enorme Inspiration für mich und Gebäude können eine Metapher dafür sein. Gebäude sind nicht einfach nur funktionale Konstrukte. Sie brauchen eine Seele, eine Identität. Man muss einem Gebäude Zeit geben zu entstehen, die richtigen Details und Materialien auswählen, dafür sorgen, dass es gesund ist. Gesundheit ist ein wichtiges Motiv für mich – sowohl beruflich als auch privat. Ich betrachte unsere Gebäude als Werkzeuge für die Erschaffung einer gesunden Welt im Gleichgewicht.
Haben Sie diese Philosophie auch bei der Gestaltung Ihrer eigenen Superloft-Wohnung angewendet?
Auf jeden Fall. In einem Wohnhaus befindet sich für gewöhnlich der Wohnbereich unten und das Schlafzimmer oben, aber bei uns ist es genau umgekehrt. Unsere Küche ist oben, sodass wir oft die Treppe hoch und runter gehen müssen. So bewegen wir uns automatisch mehr. Das Arbeitszimmer habe ich als multifunktionalen Raum gestaltet, der gleichzeitig als Fitnessraum dient, und über dem Sofa ist eine Eisenstange am Obergeschoss angebracht, an der ich Klimmzüge mache. Unsere Zimmerpflanzen tragen ebenfalls zu einem gesunden Leben bei. Ihre Blätter filtern schädliche Giftstoffe aus der Luft und produzieren Sauerstoff. Und sie schützen uns vor Mücken! Darüber hinaus arbeiten wir mit natürlichen, zeitlosen Materialien wie Holz und Stein. Materialien, die ewig schön bleiben und immer wieder verwendet werden können. All das gehört zu meiner Vision, ein gesundes, nachhaltiges und energieeffizientes Leben zu führen.
Die Küche im Obergeschoss befindet sich an zentraler Stelle mitten in Ihrem Zuhause. Wie hilft dieser Raum Ihnen dabei, ein gesundes, ausgeglichenes Leben zu führen?
Unsere Kücheninsel ist wie ein Tempel für gesunde Ernährung, Lebensfreude und Zeit mit Freunden. Wir haben die Küche als Ort von Begegnungen gestaltet, als eine Möglichkeit, mehr Spass in das Kochen und eine gute Ernährung zu bringen, damit daraus ein Hobby wird und keine lästige Pflichtaufgabe. Dafür war eine gewisse Offenheit erforderlich und diese haben wir erreicht, indem wir Küchengeräte nahtlos integriert und darauf geachtet haben, dass jede Komponente mehr als nur einen Zweck erfüllt. Die Kücheninsel wird zum Beispiel eher als Tisch genutzt. Das schafft Geselligkeit, die ebenfalls der Gesundheit förderlich ist. Sie ist ein Ort, um zusammenzukommen und über den Tag zu sprechen – ein Ort für Beziehungen.
Nicht jeder Besitzer einer Superloft-Wohnung ist Architekt oder Innenausstatter. Helfen Sie bei der Gestaltung, oder wählen und kreieren die Besitzer alles selbst?
Sie haben die Freiheit, alles selbst auszuwählen, von den Küchengeräten bis zur Anzahl der Wände. Wir versuchen lediglich, sie zu inspirieren. Wir arbeiten gerade an einem Buch über die 25 schönsten Superlofts. Dieses Buch enthält eine Menge visuelle Inspiration, aber auch Informationen darüber, wie sie ihren Wohnraum gestaltet und wo sie ihre Materialien gefunden haben. Das gemeinsame Nutzen von Wissen und Inspiration ist der nächste Schritt für unsere Superloft-Community und wir hoffen, dass es dadurch noch mehr Gemeinschaftlichkeit und Zusammenhalt zwischen den einzelnen Superloft-Communitys geben wird. Die Menschen, die sich für das Leben in einer Superloft-Wohnung entscheiden, sind oft kreativ und nehmen Dinge gern selbst in die Hand. Und über dieses Netzwerk an Superlofts finden sie Menschen und Unternehmen, die sie unterstützen können. Ich könnte zum Beispiel das Design für unseren Küchenschrank hochladen und ein Bewohner einer Superloft-Wohnung in einer anderen Stadt könnte den Plan herunterladen und den Schrank für sich selbst anfertigen lassen. Hierbei handelt es sich um eine schöne, gemeinschaftlichere Methode, ein Zuhause zu gestalten.
Technologie hat auch die Art und Weise revolutioniert, wie wir mit unserem Zuhause interagieren. Intelligente Haushaltsgeräte, Automatisierungen oder Fernsteuerung seien an dieser Stelle beispielhaft genannt. Von welchen Technologietrends sind Sie überzeugt?
Es gibt einen schmalen Grat zwischen dem, was nützlich ist, und dem, was die Privatsphäre verletzt. Ich liebe Dinge wie Smart Locks, dank denen meine Wohnungstür von mir und allen, denen ich Zugang gewähre, per Smartphone geöffnet werden kann. Mir gefällt auch die Idee mit intelligenten Kühlschränken, die Lebensmittel auf Basis automatisierter Verbrauchsanalysen bestellen. Wir sollten klobige physische Steuervorrichtungen durch die elegantere Interaktion via Smartphone ersetzen, wo immer dies möglich ist. Und wenn unsere Geräte und Haushaltsgegenstände von unserem Verhalten lernen und sich so selbst optimieren – umso besser. Dennoch wehre ich mich dagegen, aus unseren Häusern und Wohnungen vollständig analysier- und überwachbare Bereiche zu machen.
Beeinflusst Ihre Vision hinsichtlich gesundem Leben und Nachhaltigkeit auch die Materialien und die Technologie, welche für die Gebäude und in diesen verwendet werden?
Ja, auf jeden Fall. Für unsere neuen Gebäude möchten wir nur recycelten Stahl verwenden, der von einem nahe gelegenen Hafen aus geliefert wird. Wir möchten auch weniger Beton verwenden. Derzeit arbeiten wir sogar mit einem neuartigen recycelten Beton. Mit jedem neuen Gebäude möchten wir die Grenzen des Möglichen weiter verschieben. Dazu gehört zum Beispiel auch, Schmutzwasser aus Duschen und Waschmaschinen zu reinigen und wiederzuverwenden. Das Brauchwasser wird mithilfe natürlicher Filter aufbereitet und kann für die Toilettenspülung oder den Geschirrspüler wiederverwendet werden. Das kann den eigenen Wasserverbrauch um etwa 60 Prozent senken. Die Böden werden mit Wasser gekühlt, das aus dem IJ [Gewässer in Amsterdam] stammt, und im Winter werden sie mit Energie beheizt, die aus dem nahe gelegenen Industriegebiet geliefert wird. In den Superlofts in Amsterdam-Noord konnten wir eine Energieeffizienz erreichen, die in den Niederlanden ihresgleichen sucht: -0,34 laut EPC! Die überschüssige Energie kann vergütet in das Stromnetz eingespeist oder an Nachbarn weiterverkauft werden. Jedes neue Superloft bringt uns einen Schritt näher heran an eine nachhaltigere Zukunft.
Architekten sind bekannt für ihr geschäftiges, chaotisches Leben. Und Ihr Zuhause ist im Grunde eines Ihrer Projekte. Wie erreichen Sie ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben?
Meine Arbeit ist mein Leben und umgekehrt. Als Architekt kann man der Architektur nicht aus dem Weg gehen, vor allem dann nicht, wenn man sein eigenes Zuhause entwirft. Wenn ich mich in meinem Haus umsehe, gibt es immer Dinge, die ich heute bereue und anders machen würde. Weniger Arbeiten ist keine Option für mich – meine Arbeit ist meine Kunst. Doch unser Hund Tommy hat mir sehr dabei geholfen, Struktur und Routine in meine chaotische Welt zu bringen. Wir müssen mit dem Hund spazieren gehen, wodurch eine tägliche Routine entsteht, und ich denke, davon braucht jeder etwas, um ein gesundes, ausgeglichenes Leben führen zu können. Ich bin bestimmt 20 Prozent glücklicher, seit wir diesen Hund haben!